Gesang und Musik

Endlich ist es wieder soweit: «Ermuntert euch und singt mit Schall» – so singen wir in einem bekannten Gemeindelied. «Sollt ich meinem Gott nicht singen?», fragen sich die Gläubigen in einem anderen Lied. Oder «Singet dem Herrn ein neues Lied» heisst es an einer weiteren Stelle des Gesangbuchs. Hat uns allen nicht etwas gefehlt in dieser gesanglosen Corona-Zeit der letzten Monate? Waren die Gottesdienste nicht irgendwie unvollständig?

Und wirklich: Ein Gottesdienst ohne Lieder war bis vor kurzem eigentlich unvorstellbar. Der Gemeindegesang gehört zum Gottesdienst wie die Predigt oder das «Unser Vater». Im gemeinsamen Singen antwortet die Gemeinde auf das gesprochene Wort, lobt und preist, betet und dankt. Schliesslich verbindet das Singen und pflegt die Gemeinschaft. So erinnere ich mich an Weihnachts- und Ostergottesdienste meiner Jugend, wo der gemeinsame, fast inbrünstige Gesang die Gemeinde (und auch den Organisten) geradezu beflügelte und in «himmlische Sphären» führte.

Doch dies war nicht immer so. Vor der Reformation wurden die Lieder auf Latein im Chorraum von Mönchen oft auch mehrstimmig gesungen. Die Gemeinde verstand wenig oder nichts davon und durfte allenfalls etwas nachplappern, wie «die Affen [es] thun» (Luther). Luther und die Reformatoren wollten die Gemeinde in den Dienst der Verkündigung direkt miteinbeziehen und zum Singen anregen. Die lateinische Messe und Lieder wurden durch deutschsprachige Gesänge ersetzt. Viele neue Lieder entstanden, die zum Teil sogar an populäre Volkslieder angelehnt waren. Das gemeinsame Singen auf Deutsch wurde ein wesentlicher Bestandteil des evangelischen Gottesdienstes. Bei den Lutheranern war dabei der (mehrstimmige) Choral zentral, um Jesus Christus, das Kreuz und die Auferstehung zu verkündigen. Luther selbst verfasste viele Choräle und komponierte die Melodien. Sein vielleicht bekanntester Choral ist «Eine feste Burg ist unser Gott», den wir auch im heutigen Gesangbuch noch finden. Im Gegensatz zu Luther gingen die Schweizer Reformatoren um Zwingli und Calvin noch weiter. Sie wollten einerseits alles, was an die Beherrschung der Kirchenmusik durch den Klerus erinnerte, abschaffen, wie den mehrstimmigen oder durch Instrumente begleiteten Gesang. Andererseits sollte die Musik die Gemeinde nicht von der inhaltlichen Botschaft der biblischen Verkündigung ablenken. Zeitweise wurde daher die Kirchenmusik völlig aus dem Gottesdienst verbannt oder nur in Form von einstimmigem Gemeindegesang zugelassen. Erst später fanden dann wieder schlichte, auch mehrstimmige Gesänge und Instrumentalmusik Platz im reformierten Gottesdienst. Berühmt ist zum Beispiel der Genfer Psalter, bestehend aus Psalmen, die in Versform auf Französisch nachgedichtet, in Strophen unterteilt und teilweise mehrstimmig vertont wurden. Psalmlieder wurden übrigens auch von Luther geschrieben und finden sich in grösserer Zahl in unserem Gesangbuch.

Die Kirchenmusik besteht aber nicht nur aus Gesang und Liedern. Neben der liturgischen Musik entstand im Laufe der Zeit ein grosser Schatz an künstlerischer Kirchenmusik, deren berühmtester Vertreter wohl J.S. Bach ist. Für Bach war «in der Musik Gottes Gnade gegenwärtig». Er und viele andere schufen für die Orgel und andere Instrumente wunderschöne Musik, die auch immer wieder in den Gottesdiensten erklingt, zum Beispiel als Eingangs- oder Schlussstück. Aber auch eigentlich weltliche Musik, wie irische Melodien oder Folklieder, ertönen hin und wieder von der Baarer Empore herab. Am Konfirmationssonntag wurden sogar Poplieder oder eine Metallica-Ballade aus den 90er Jahren auf dem Klavier vorgetragen.
In der römisch-katholischen Kirche führte erst die Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) dazu, dass sich die Gemeinde aktiv musikalisch am Gottesdienst beteiligen konnte. Heute finden sich im reformierten und katholischen Gesangbuch viele gemeinsame Lieder.

Paul Gerhardt dichtete schon 1653: «Ich singe Dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust; ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst.» Musik kann berühren, Musik kann begeistern. Musik bereichert unser Leben und unseren Glauben und ist daher fester Bestandteil unserer Gottesdienste.

Johannes Bösel, Leiterausbildung

 

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