Mein Kirchenraum: Zug


Jede Pfarrperson assoziiert etwas anderes mit dem Begriff Kirchenraum. Für den einen ist es einfach die Kirche, für die andere gleich der ganze Bezirk. In unserer neuen Serie erzählen die Zuger Pfarrpersonen, wie ihr persönlicher Kirchenraum aussieht. Diesmal zeigt Hans-Jörg Riwar «seine» Zuger Stadtkirche.

In unserer Reformierten Stadtkirche gibt es viel Interessantes zu entdecken. Da wäre die Apostel-Gruppe des Zuger Künstlers Walter Haettenschwiler, 1968 aus alten Eisenbahnschwellen gefertigt. Oder die Lichtinstallation der jungen Künstlerin Judith Bieri mit dem Vers des Aargauer Schriftstellers Klaus Merz: «vielleicht dass uns etwas aufginge einmal per zufall für immer». Und ganz gewiss die wunderbare Goll-Orgel. Und nicht zu vergessen die Kirchenfenster – für eine reformierte Kirche erstaunlich farbig, wenn auch mit klassisch protestantischen Bildinhalten.

Kirchenbänke, kein Komfortwunder
Vierzehn Jahre liegt die letzte Renovation zurück. Damals wurde die ursprüngliche Innenaustattung der Kirche wiederhergestellt, die Wand zum alten Unterrichtszimmer eingezogen und damit die ursprüngliche Front neu gesetzt. Ob es allerdings wieder Bänke sein sollten oder lieber dann doch Stühle – diese Frage war heiss umstritten. Die Denkmalpflege sprach ein Machtwort, und ich bin froh darüber. Denn mir sind die Bänke unserer Kirche ganz besonders wichtig und lieb. Und das mag überraschen. Kirchenbänke gelten ja nicht als Komfortwunder. Und sie sind statisch, wo sich der Kirchenraum heutzutage geänderten Bedürfnissen anzupassen hat. Sprich: Stühle sind definitiv die flexiblere Lösung. Und doch, die Bänke der Reformierten Kirche Zug haben ihren Vorteil. Sie geben dem Raum eine klare Struktur und Orientierung. Wenn es auch – nach hergebrachter Auffassung – die falsche ist.

Es geht nach Westen
Die alten Kirchen sind fast durchwegs nach Osten hin ausgerichtet. Von dorther erwartete man den auferstandenen Christus. Bei uns ist der Kirchenraum von Osten nach Westen orientiert – wobei «orientiert» hier das falsche Wort ist, denn Orient ist eben Osten. Der Haupteingang geht auf die Alpenstrasse. Der Abendmahlstisch und der Ambo stehen an der Westwand. Warum dem so ist, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht dachte man 1906, als die Kirche erbaut wurde, halt ganz pragmatisch und richtete den Eingang nach der Stadt aus, die damals fast ausschliesslich in Richtung Süd- Ost lag. Dass man vor dem damals noch fast leeren Raum zwischen Zug und Cham Angst gehabt hätte, kann wohl kaum der Grund gewesen sein.

Eine «ordentliche Gemeinde»
Zurück zu den Bänken. Gewiss zwickt’s im Kreuz, wenn der Pfarrer zu lang macht. Aber die Zeiten der Predigten deutlich über das Sanduhrmass hinaus sind vorbei. Heute pflegt man die Kürze auch in der Verkündigung des Gottesworts. Der Charme der Kirchenbänke – wenn man das so sagen kann – liegt in ihrer Kompaktheit. Zehn, zwanzig oder dreissig Menschen im Kirchenraum wirken nicht verloren. Im Gegenteil, der Pfarrer oder die Pfarrerin ist froh und hat den Eindruck, heute habe sich eine «hübsche Gemeinde » versammelt. Die Besucher sind wie «eingehegt» und «gefasst» im Rechteck der Bänke. Das Bild einer «ordentlichen Gemeinde» stellt sich so überraschend schnell und fast von allein ein.

Wo «der Herr» selber zu Besuch ist
Apropos «ordentliche Gemeinde»: Das Lied vom mageren Kirchenbesuch unserer Tage mag ich gar nicht anstimmen. Haben wir doch in Zug auch im traditionellen Sonntagsgottesdienst immer noch eine Gemeinde, die sich Sonntag für Sonntag versammelt. Mit Menschen, die wir kennen und die uns lieb und teuer sind. Überraschenderweise immer auch mit neuen Gesichtern, die sich nicht etwa verirrt, sondern gezielt den Weg gefunden haben. Und hoffentlich auch wieder einmal kommen. Und dann ist da noch ein sozusagen geistlicher Grund. Schliesslich sagte Christus: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.» (Matthäus 18,20) Und was, respektive wer bitteschön sollte fehlen, wenn doch «der Herr» höchstselbst im Kirchenbank sitzt? Das gilt es sehr ernst zu nehmen in einer Zeit, die sich über zunehmend leere Kirchen beklagt – wenn’s denn ein Klagen ist.

Hundert, zweihundert, dreihundert Besucher
Die Bänke unserer Kirche haben eine Verlängerung nach oben und auf die Seite. Mit Stühlen und den Plätzen auf der Empore kann auch ein grosser Ansturm bewältigt werden Den gibt es regelmässig bei Abdankungen und Konfirmationen, an den hohen Feiertagen und bei den Anlässen der CityKircheZug. Es sind dann nicht zehn, zwanzig oder dreissig Menschen, sondern hundert, zweihundert oder gar dreihundert. So gehören die Kirchenbänke zum bis auf Weiteres unverzichtbaren Inventar unserer Kirche. Neben den schönen und interessanten Kunstwerken und der wunderbaren Orgel.

Text: Hans-Jörg Riwar, Pfarrer Zug Süd (Kirche Z 4/2020)

 

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